kurs 12 2021 | FachMeinung

„Wasserstoff ist DER Kraftstoff der Zukunft“

Interview mit Rafael Schmidt, Head of Business Development, Hydrogenious LOHC Technologies GmbH

Rafael Schmidt

Rafael Schmidt leitet das Business Development und Conceptual Engineering bei ­Hydrogenious LOHC Technologies GmbH. Seit Mitte 2018 ist er im Unter­nehmen. Seine berufliche Laufbahn nach dem Studium zum Dipl.-Wirtschafts­ingenieur begann er als wirtschaftlicher und strategischer Berater in der Energiewirtschaft, mit Fokus auf Geothermie und Fernwärme. Danach leitete er die Planungs- und Ingenieursabteilung eines mittelgroßen Netzbetreibers und Energieversorgers. Dort entwickelte Rafael Schmidt unter anderem Deutschlands größte Solarthermie-Anlage weiter und setzte mehrere große Energieprojekte mit Industriekunden um.

Was macht grünen Wasserstoff Ihrer Ansicht nach zu einem wichtigen Energieträger der Zukunft?

Rafael Schmidt: Wasserstoff ist DER Kraftstoff der Zukunft. Denn Wasserstoff ist frei von Schadstoffen und enthält rund dreimal so viel Energie wie Benzin. Mit Wasserstoff können Wohnungen beheizt, Autos und Flugzeuge betankt und auch die energieintensive Schwerindustrie versorgt werden.

Durch Kopplung der Sektoren Mobilität und Industrie wird grüner Wasserstoff zum zentralen Energieträger auf dem Weg zur Dekarbonisierung der bayerischen Wirtschaft und unserer Lebensweise: als Rohstoff, Kraftstoff und langfristiger Energiespeicher. Wasserstoff ist zudem eines der am häufigsten verwendeten Industriegase weltweit. Kurzum: Wasserstoff ist ein Alleskönner der Energiewende, er stärkt den Klimaschutz und sichert Arbeitsplätze in Deutschland.

Welchen Weg hat Wasserstoff Ihrer Ansicht nach noch vor sich, um ein relevanter Energieträger unserer Volkswirtschaft zu werden? An welchen Stellschrauben muss dafür gedreht werden?

Da liegt auf jeden Fall noch ein Langstreckenlauf vor uns allen. Denn bis Wasserstoff sein Potenzial voll ausspielen kann, sind drei große Herausforderungen zu meistern:

  • Die besten Standorte zur Wasserstoff-Erzeugung befinden sich in der Regel nicht dort, wo die Energie, der Rohstoff oder der Kraftstoff benötigt werden.
  • Wasserstoff muss also von den Standorten der Herstellung zu den dezentral verteilten Verbrauchszentren geliefert werden: Dieser Transport ist heute noch teuer, wenig effizient und mit Sicherheitsrisiken verbunden.
  • Große Wasserstoffmengen müssen für Industrie und Wasserstoff-Tankstellen zuverlässig bereitgestellt und gespeichert werden.

Das heißt, die Transport-Logistik ist ein entscheidender Faktor des zukünftigen Wasserstoff-Marktes. Darauf geben wir mit unserer LOHC-Technologie eine zukunftsfähige Antwort.

Was zeichnet die von Ihnen entwickelte LOHC-Technologie aus?
LOHC steht für „liquid organic hydrogen carriers“, d.h. flüssige organische Wasserstoffträger. Die von uns entwickelte und patentierte LOHC-Technologie speichert große Mengen an Wasserstoff in einem schwer entflammbaren, flüssigen Trägermaterial, einem aromaten-basierten Öl. Wasserstoff kann daher durch unsere LOHC-Technologie transportiert und gespeichert werden – in großen Mengen und besonders sicher.

So kann dank LOHC die bestehende Kraftstoff-Infrastruktur, wie es sie für fossile Kraftstoffe gibt, 1:1 übernommen werden: Dies umfasst die großen Tanklager und Umschlags-Standorte in See- und Binnenhäfen, die vorhandenen Transportwege von See- und Binnenschiffen, Bahn und Tankfahrzeugen sowie die unterirdischen Kraftstofftanks an Tankstellen. So können Wasserstofftankstellen mit über 5.000 kg gespeichertem Wasserstoff vor Ort an Standorten mit begrenztem Platzbedarf realisiert werden. Da die Kosten für die Umrüstung der Versorgungsinfrastruktur vergleichsweise niedrig sind, reduziert die LOHC-Technologie die Kosten für den gelieferten Wasserstoff erheblich.

Entscheidend für den Weg des Wasserstoffs (siehe Rubrik „Güterwege“) ist, dass sich ein Wasserstoff-Markt entwickelt. Dazu gehören Marktteilnehmer, Marktpreise, reduzierte Kosten entlang der Wertschöpfungskette und Projektfinanzierungen. Heute fehlen noch die Anreize für einen Wasserstoff-Markt – das muss sich ändern. Kunden im Wasserstoff-Markt werden dann Industrieunternehmen, Endkunden und – für die letzte Meile – auch Pipeline-Betreiber sein.

Wie soll Wasserstoff transportiert, gelagert und zum Endverbraucher gebracht werden? Welche Rolle spielt dabei Hafeninfrastruktur? Können vorhandene Tankanlagen genutzt werden?
See- und Binnenhäfen spielen eine zentrale Rolle für die Zukunft der Wasserstoff-Wirtschaft. Denn die Tanklager und Umschlags-Vorrichtungen sind da. So wie in Tanks heute Benzin, Diesel und Heizöl gelagert wird, kann dort in Zukunft flüssiger Wasserstoff auf Basis der LOHC-Technologie gelagert werden. Pointiert gesagt reicht es, die Tanks zu leeren und innen einmal durchzuputzen, dann sind sie für die Lagerung flüssigen Wasserstoffs bereit. Die Umrüstung erfordert nur minimalen Aufwand. Damit sollte die Umrüstung auch genehmigungstechnisch kein Thema sein. Natürlich müssen LOHC-Wasserstoff und bspw. Heizöl getrennt gelagert und transportiert werden. Kurzum: Häfen sind für die Lagerung von LOHC-Wasserstoff prädestiniert.

Wasserstoff kommt von den Seehäfen per Tankschiff in die Binnenhäfen – und auf der letzten Meile zum Industrieunternehmen oder Endkunden übernehmen Pipelines und Tankfahrzeuge. Wir werden also dezentrale Netze haben, in denen signifikante Mengen an Wasserstoff geliefert werden. Binnenhäfen sind auch deshalb entscheidend wichtig, weil großen Industriekunden, die auf Wasserstoff umrüsten, ein sicherer Zugang garantiert sein muss.

Wo sehen Sie grünen Wasserstoff im Jahr 2035?
Es wird sein wie bei der Entwicklung der Erdgasnetze: Es braucht die Zeitspanne einer Generation, um den Wasserstoff-Markt anzuwerfen. Dann wird die Infrastruktur implementiert sein, die Basis stimmt fürs Ausrollen des Marktes – und der Wasserstoff-Preis ist optimal. Der Weg dorthin ist lang, aber er lohnt sich. Mit LOHC können wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass der Wasserstoff-Markt noch früher ausgerollt wird.