kurs 12 2021 | GastBeitrag

Was für ein Erlebnis! Die Zukunft der deutschen Binnenhäfen

Gastbeitrag von Prof. Dr. habil. Heiko von der Gracht

Luftbild bayernhafen Aschaffenburg mit überlagerten Symbolbildern Digitalisierung

Prof. Dr. habil. Heiko von der Gracht ist Inhaber des Lehrstuhls für Zukunftsforschung an der School of International Business and Entrepreneurship der Steinbeis-Hochschule. Er blickt auf 15 Jahre erfolgreiche Forschungs-, Lehr- und Projekterfahrung in Deutschland und international zurück. Das Handelsblatt zählte ihn in seinem Betriebswirte-Ranking 2014 zu den Top 50 der forschungsstärksten Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum. Von der Gracht ist Autor mehrerer erfolgreicher Management-Bücher. Seit 2018 erscheint seine regelmäßige Kolumne Zukunft im Audit Committee Quarterly für Aufsichtsräte.

 

Der bayernhafen Aschaffenburg hat eine beeindruckende Tradition hinter sich – und eine noch glänzendere Zukunft vor sich. Warum?

Die einfache Antwort

Weil der bayernhafen schon immer sowohl traditionsbewusst wie auch zukunftskompetent war, was nicht zuletzt die Konversion von Flächenverbrauch zu Flächenrecycling beweist. Der bayernhafen beweist damit sein Bewusstsein für das, was letztendlich jeden Erfolg ausmacht: die Zukunft. Und ein Schlüsselfaktor für den zukünftigen Erfolg der Logistik ist etwas scheinbar Exotisches: Experience Management. Inzwischen setzt sich der deutsche Begriff durch: Erlebnisökonomie. Diese allerdings wirkt erstaunlich.

Der Kunde ist nicht mehr glücklich, wenn er das Gewünschte bekommt – das setzt er voraus. Sondern wenn er etwas bekommt und dabei noch etwas erlebt.

Das Erlebnis entscheidet

Denn noch die Generation vor uns verstand Wirtschaft und Logistik lange Jahre als Knappheitsproblem. Wer die knappen Güter liefern konnte, hatte Erfolg. Heute dagegen leben wir in vielen Bereichen im Überfluss. Der Kunde ist nicht mehr glücklich, wenn er das Gewünschte bekommt – das setzt er voraus. Sondern wenn er etwas bekommt und dabei noch etwas erlebt. Studien, beispielsweise von Forrester und ThinkJar Research, zeigen, dass Kunden mehr für ein exzellentes Kundenerlebnis bezahlen und dass die Experience Pioniere mit deutlich überdurchschnittlichen jährlichen Gewinnwachstumsraten rechnen können. Kein Kunde, kein Auftraggeber und kein Disponent möchte sich zum Beispiel bei der Auftragsvergabe durch Formulare und Zuständigkeiten quälen, sondern zum eigentlichen Business noch ein positives emotionales Erlebnis mitnehmen. Zum Beispiel: Zollabwicklung. Ein nicht gerade bereicherndes Erlebnis für jeden Auftraggeber? Zukünftig schon, wenn erlebnisorientierte Logistik den Zollstress für alle Beteiligten (Stichwort Supplier-Experience, Mitarbeiter-Experience, Stakeholder-Experience) minimiert und damit nicht nur für eine Entlastung, sondern auch für ein positives Erlebnis sorgt: Erlebnis heißt Erfolg. Das geschieht in Zoll-Pilotprojekten inzwischen mit modernster Blockchain-Technologie und der engen Kooperation von Häfen, Speditionen, Elektronikkonzernen, Finanzdienstleistern und Regierungsstellen. Alles, damit Kunde, Kollegen und Partner am Auftrag auch ihre Freude haben. Freude? Im Business? Solche Gefühle jucken doch keinen gestandenen Geschäftsmann! Das ist ein Irrtum.

Auch Manager sind Menschen

Was schätzen Sie: Wie hoch ist selbst im seriösen Business der Anteil von Emotionen an einer Auftragsvergabe? 10 Prozent? Weil Business sachlich, fachlich, trocken ist? Das sagt der Laien-Mythos. Umfangreiche Studien wie jene von B2B International widerlegen diesen: Die finale Auftragsvergabe wird auch und gerade im harten Business zu sage und schreibe 56 Prozent von emotionalen Faktoren beeinflusst: Auch Auftraggeber sind Menschen (zumindest ist nichts Gegenteiliges bekannt) und Menschen haben Gefühle. Alle Menschen. Sie wollen nicht nur den Abschluss, die Leistung, die Logistik. Sie wollen sich dabei auch nicht stressen lassen oder ärgern müssen. Damit erreicht Erlebnismanagement möglicherweise, was kein Verkehrsminister bislang schaffte: die deutliche und klimarettende Verkehrsverlagerung auf nachhaltige Logistik zum Beispiel zu Wasser. Das wird die Bedeutung unserer Binnenhäfen künftig noch stärker steigern als bereits heute schon. Denn:

Die Logistik zündet den Nachhaltigkeitsturbo

Dazu trägt auch die maritime Energiewende bei, sprich ganz konkret unter anderem das herausfordernde Thema Landstrom. Sieht und zapft der Kunde mehr davon, ordert er mehr und poliert in der Klimakrisengeschädigten Öffentlichkeit und Politik sein grünes Image auf. Die blaue Wirtschaft macht die Welt ein wenig grüner. Und dazu gehört auch der Immobilien-Footprint. Jeder kennt den CO2-Footprint. Analog informiert der Immobilien-Footprint über die Nachhaltigkeit zum Beispiel eines Lagers, eines Verwaltungsgebäudes oder jeder anderen Logistik-Immobilie. Platt gesagt sollen solche Immobilien kein Land mehr fressen und das Klima nicht mehr schädigen. Umbau, Renovierung und Revitalisierung laufen bereits in vielen Häfen zukunftsweisend in diese nachhaltige Richtung. Auch Multi-Level-Immobilien werden die logistische Zukunft prägen. Sie bringen riesige Logistik-Zentren auf der minimalen Fläche eines Hochhauses unter, weil sie mehrgeschossig gebaut sind – in Asien bis zu 24 Stockwerke hoch. In notorisch raumknappen Metropolen wie Hong Kong, Singapur, München und Paris prägen vertikale Logistiklösungen bereits das gewohnte Stadtbild. Doch das ist nicht alles.

Home Office am Container-Kran?

Wie die nahe Zukunft aussehen könnte, haben die letzten beiden Jahre angedeutet mit dem mächtigen Home-Office-Trend. Bei dessen Erwähnung winkt jeder gestandene Logistiker ab: „Unser Brückenfahrzeugführer im Containerkran sitzt auch im Kran – und nicht daheim im Wohnzimmer!“ Das stimmt schon heute nicht mehr komplett. Nicht seit es Remote Control für Container-Kräne gibt. Wobei „remote“ eben nicht bedeutet: Kranführer steht neben dem Kran. Sondern: Kranführer sitzt daheim oder im Büro an Bildschirmen und Bedienflächen, in nicht allzu ferner Zukunft dann vielleicht vollkommen immersiv mit Virtual-Reality-Ganzkörperanzug. Doch nicht nur Krane werden bald schon weiter automatisiert und digitalisiert werden. Auch der Lager- und Ladearbeiter der Zukunft wird nicht mehr zwingend am Kai oder in der Halle stehen, sondern in der eigenen Wohnung oder im Büro sitzen. Von dort aus steuert er seinen persönlichen Lagerroboter per Fernsteuerung; genauer gesagt: mit der virtuellen Verschmelzung von Mensch und Maschine. Was bringt die Zukunft noch?

Keine Utopie

Die AIoT ist ein heißer Zukunftstrend, die Artificial Intelligence of Things; eine Verbindung von zwei Technologien, die es heute schon gibt: Künstliche Intelligenz (Englisch: AI) und Internet der Dinge (Englisch: IoT). Das heißt: Alles im Hafen denkt mit. Jeder Kran, jedes Lagerregal, jede Palette und jeder Container ist mit allen anderen digital vernetzt und mit einer KI verbunden. Diese hat den ganzen nachgeordneten Papierkram bereits erledigt, noch bevor ein Schiff wieder abgelegt hat. Sie optimiert auch ständig alle relevanten Arbeitsprozesse und Parameter anhand des Digitalen Zwillings des Hafens: Der echte Hafen im virtuellen Sandkasten rechenfähig verkleinert und damit perfekt plan- und simulierbar, ohne dass sich ein menschlicher Planer ständig darum kümmern müsste. Stattdessen kann er sich nun um Wichtigeres kümmern, zum Beispiel um die Menschen im Hafen. Das ist genau das, was dem bayernhafen schon immer wichtig war und ist. Gestern. Heute und morgen.

Der Gastbeitrag ist ein Auszug aus dem Buch „100 Jahre bayernhafen Aschaffenburg“

Der Hafen Aschaffenburg wurde am 3. November 1921 als neuer Handels- und Industriehafen Aschaffenburg feierlich eröffnet – und feiert heuer seinen 100sten Geburtstag. Zu diesem Anlass legt bayernhafen ein reich bebilderte Buch auf, ein hochinteressantes Spektrum zu den wesentlichen Aspekten von 100 Jahre Hafengeschichte.