kurs 27. Mai 2020 | FachMeinung

Interview mit Kerstin Schreyer, MdL, Bayerische Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr

Kerstin Schreyer

Kerstin Schreyer ist in München geboren und studierte nach ­ihrem Abitur 1993 Sozialpädagogik. Nach ihrem Abschluss als Dipl. Sozial­pädagogin (FH) arbeitete sie in der Leitung einer erwachsenen­psychiatrischen Einrichtung und bildete sich dann zur systemischen Therapeutin (DGSF) weiter. Von 1996 bis 2006 war Kerstin Schreyer Gemeinderätin in Unterhaching, seit 1996 auch Kreis­rätin im Landkreis München. Seit 2008 vertritt Kerstin Schreyer den Stimmkreis München-Land-Süd als direkt gewählte Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Von 2013 bis 2017 war sie stellv. Vorsitzende der CSU Landtagsfraktion, von März 2017 bis März 2018 zudem Integrationsbeauftragte der ­Bayerischen Staatsregierung. Im März 2018 erfolgte ihre Berufung als Staats­ministerin für Familie, Arbeit und Soziales und als Frauen­beauftragte der Bayerischen Staats­regierung. Seit 6. Februar 2020 ist sie Bayerische Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr. Kerstin Schreyer ist Mitglied im CSU Parteivorstand, Mitglied in der Vollversammlung des Katholikenrates der Region München, geschieden und Mutter eines Kindes. Foto: © Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr

Die verschiedenen Verkehrsträger effizient und gemäß ihren jeweiligen Stärken einsetzen und vernetzen

Funktionierende Lieferketten auf Basis einer ­robusten Verkehrsinfrastruktur sind das A und O einer Volkswirtschaft und unserer Lebens­qualität. Das galt immer schon, Corona zeigt es wie in ­einem Brennglas. Welche Schwerpunkte ­planen Sie in Ihrem Haus, um Verkehrsinfrastruktur ­kontinuierlich den Anforderungen anzupassen?

Kerstin Schreyer: Eine leistungsfähige und gut ausgebaute Infrastruktur aller Verkehrsträger ist die Grundlage für eine mobile und weitgehend arbeitsteilig organisierte Gesellschaft. Sie ist Lebens­ader jeder Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb, in besonderem Maße aber der mittelständisch geprägten Wirtschaft Bayerns im Zentrum Europas.
Wir streben eine bedarfsgerechte, sichere und nachhaltige Mobilität für Menschen und Güter an. Die Voraussetzung dafür ist ein breites Angebot unterschiedlicher Verkehrsmittel und -systeme und deren intelligente Vernetzung zu einem integrierten, umweltfreundlichen und zuverlässigen Gesamtverkehrssystem mit einer leistungsfähigen und qualitativ hochwertigen Infrastruktur. Unser Fokus liegt darauf, die verschiedenen Verkehrs­träger effizient und gemäß ihren jeweiligen Stärken einzusetzen und bestmöglich auszunutzen. Der Betrieb, Erhalt, Aus- und Neubau der Verkehrs­infrastruktur, sowie die Gestaltung des Verkehrsangebotes folgen diesen Prinzipien.

Der vom Bundesverkehrsministerium gemeinsam mit der Wirtschaft entwickelte Masterplan Binnenschifffahrt ergänzt hervorragend das Nationale Hafenkonzept und den Masterplan Schienengüterverkehr. Der von den Binnenhäfen immer wieder geforderten integrierten ­Strategie im Güterverkehr kommen wir damit deutlich näher. Auch gibt der Masterplan Rückenwind, um die hohe Bedeutung der Binnenhäfen auch bei Landesentwicklung und Stadtplanung fest­zuschreiben. Welche Impulse planen Sie, um diese Bedeutung der Binnenhäfen auch im Dialog mit den Kommunen noch stärker herauszustellen?

Corona zeigt uns, wie lebenswichtig es ist, Liefer­ketten aufrechtzuerhalten. Die Binnenhäfen haben einen großen Anteil daran, dass dies auch in der Krise täglich gelingt. Die bei ihnen ein­gehenden Güterströme aus Deutschland, Europa und der Welt versorgen die jeweilige Region mit Lebensmitteln, Papier, Baustoffen, Heizöl, Komponenten für die Industrie und Handelsgütern aller Art. Und gleichzeitig versorgen bayerische Unternehmen über die von den Binnenhäfen ausgehenden Güterströme Kunden auf der ganzen Welt. Damit diese Güterströme verlässlich funktionieren, bieten Binnenhäfen die passende versorgungsrelevante Infrastruktur und sichern so das Fundament unserer Wirtschaft und Versorgung. Binnenhäfen sind systemrelevant.

Die jeweiligen Standort-Kommunen leisten im Rahmen ihrer kommunalen Planungshoheit einen entscheidenden Beitrag dazu, dass Binnenhäfen in ihrer Schnittstellen-Funktion gestärkt werden. Klar ist: Stadtentwicklung muss mit Hafen­entwicklung harmonieren, Hafengebiete müssen vor Wohnbebauung geschützt werden. Hier muss Bestandsschutz für die Binnenhäfen gelten, die ja bereits seit vielen Jahrzehnten oder sogar seit mehr als einem Jahrhundert ihre Aufgaben erfüllen. So ist sichergestellt, dass die Verknüpfungs-Funktion der Binnenhäfen dauerhaft gewähr­leistet ist.

Auch die Beschleunigung von Genehmigungs­prozessen halten wir für einen wichtigen Aspekt, insbesondere dann, wenn es um Erweiterungen oder Ersatzneubauten bereits bestehender ­Verkehrsinfrastruktur geht: zum Beispiel bei der Erweiterung von Terminals für den Kombinierten Verkehr oder bei der Optimierung von Hafenbahnhöfen. Diese übergeordneten Rechtsverfahren sind ja bei den Bezirksregierungen angesiedelt. Auch hier werden wir im Dialog mit den Beteiligten auf praktikable, zielführende Lösungen hinarbeiten.

Infrastruktur ist die Basis unseres Wohl­standes. Mit eigenen Investitionen stärken wir kontinuierlich die Infrastruktur an unseren ­Hafen-Standorten. Dabei erleben wir bei vielen die Einstellung, Infrastruktur sei zwar wichtig, „aber bitte nicht bei uns“. Was planen Sie, um für Infrastruktur-Maßnahmen bei Bürgerinnen und Bürgern noch mehr Akzeptanz zu gewinnen?

Corona zeigt uns allen besonders deutlich: In der Krise müssen systemrelevante Bereiche wie Gesundheitssystem, Energieversorgung und Logistik sicher und verlässlich funktionieren. Für all diese Bereiche ist Infrastruktur die Grundvoraussetzung. Wasser und Abwasser, Strom, Heizung, Mobilfunk, Internetanschluss, Straßen, Schienen- und Wasserwege… all dies ist Infrastruktur und sichert unsere Lebensqualität.
Infrastruktur ist für uns im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr daher ein absolutes Kernthema, denn jeder der drei Bereiche Wohnen, Bau und Verkehr basiert auf einer stabilen Infrastruktur. Ich werde daher zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses der Infrastruktur einen besonders hohen Stellenwert einräumen

44% der Terminal-Kapazitäten im Kombinierten Verkehr in Bayern sind an bayernhafen Standorten angesiedelt. Wir leisten damit einen wesentlichen Beitrag dazu, Langstrecken-Güterverkehre von der Straße auf die umweltfreundlicheren Verkehrsträger Binnenschiff und Bahn zu verlagern. Welche Ziele verfolgen Sie für die weitere Stärkung des Kombinierten Verkehrs in Bayern?

Für die Wirtschaftlichkeit des Kombinierten Verkehrs entscheidend sind optimale Schnittpunkte zwischen den Verkehrsträgern in der Transportkette. In allen Teilen Bayerns gibt es bereits ein leistungsfähiges Netz von Umschlag­anlagen. Die Mengenentwicklung an den bestehenden Terminals bestätigt die Bedeutung dieses Transportbereichs. Hier liegt weiteres Potential für den Schienengüterverkehr.
Der Kombinierte Verkehr zwischen Bayern und den Seehäfen an der Nord- und Ostseeküste sowie vom bayernhafen Nürnberg ins chinesische Chengdu und nach Verona ist eine Erfolgsgeschichte. Unser Ziel ist es, diese Erfolgs­geschichte fortzuschreiben und um weitere Kapitel zu ergänzen.

Auch an einer Ausweitung des alpen­querenden Verkehrs arbeiten wir. So ist das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und ­Verkehr unter anderem federführender Partner des durch die EU geförderten Projekts „AlpInnoCT – Alpine Innovation for Combined Transport“, an dem sich aktiv auch bayernhafen beteiligt. AlpInnoCT baut auf vergangenen Initiativen und Projekten im Alpenraum auf, die sich mit dem europäischen und alpinen Güter­verkehr befassen. AlpInnoCT soll zu einem leichteren Zugang zum Kombinierten Verkehr beitragen, die Verbreitung dieser CO2-armen Transport­methode fördern und zu einer besseren Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit im alpenquerenden KV führen. Eines der damit eng in Verbindung stehenden Projekte ist die Wiederaufnahme der Rollenden Landstraße vom bayernhafen Regensburg nach Norditalien zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Wir setzen an unseren Standorten auf die kluge Nutzung vorhandener Flächen statt aufs Bauen auf der grünen Wiese. Flächenrecycling statt Flächenverbrauch. Welche Ziele verfolgen Sie in Ihrem Haus für den Umgang mit der knappen Ressource Fläche?

So wie wir den zukünftigen Güterverkehr vor allem mit der intelligenten Verknüpfung der Verkehrsträger bewältigen werden, lösen wir Flächenknappheit mit der intelligenten ­Nutzung vorhandener Flächen. Denn während Neubau auf der grünen Wiese Flächen verbraucht, geht die Optimierung vorhandener Gewerbeflächen schonend mit der knappen Ressource Fläche um.

Allerdings werden wir in Bayern, insbesondere im südlichen Oberbayern, zusätzliche Terminals brauchen, wenn wir mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern wollen. Bayern unterstützt hier Studien, die sich mit der Planung innovativer Terminals befassen, wozu unter anderem der Aspekt der Flächenersparnis gehört. Ein Ansatz ist beispielsweise die Lagerung von Sattelaufliegern in einem Hochregal, in dem bis zu 10 Sattelauflieger „übereinander gestapelt“ werden können. Dieser Ansatz kann natürlich auch bei bestehenden Terminals zum Tragen kommen, in denen häufig Platzmangel besteht.